EINMALIGE TROPFSTEINBILDUNGEN AUS ARGENTINIEN: 
Rhodochrosit-Stalaktiten 
Von Werner Lieber, Heidelberg
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Rhodochrosit-Tropfstein: Querschnitt durch einen 21 cm dicken Stalaktiten, der durch das Zusammenwachsen von neun kletnen Zäpfchen und anschließende Umwachsung mlt Rhodochrosit entstand. Alle Fotos - so welt nicht anders angegeben - fertigte Werner Lieber.
 
Im Nordwesten Argentiniens liegt der Fundort der bislang weltweit grrößten Stalaktiten von Rhodochrosit. Dieses Mineral fand sich zwar in mehreren Erzlagerstätten der Provinz Catamarca In relatlv großen Mengen und überwiegend derb in nierigen, glaskopfartigen Formen oder dicken Krustent deren Verwendung fiir skulpturelle Zwecke und Schmuck insbesondere nach 1950 favorisiert wurde. 
Ende der achtziger Jahre stieß man jedoch auf eine Höhle mit gigantischen Stalaktiten. Die Zapfen mit Durchmessern von 1/2 bis 50 cm (!) und bis zu 5 m (!) Länge zeigen gewisse Parallelen zu Calcit-Tropfsteinen, im Detail jedoch erstaunliche Besonderheiten hinsichtlicb Bescbaffenheit und Chemismus. 
  Das Erscheinllngsbild von Mineralien ist iiberraschend vielfaltig. Als charakteristische Ausbildungsform gelten Stalaktiten und Stalagmiten, die hängenden und stehenden Zapfen. Abgesehen vön dem Mineral Eis entstehen Sie alle aus den mineralischen Inhaltsstoffen wässriger Lösungen, sobald das Lösungsmittel Wasser an gelöstem Stoff übersattigt ist und deshalb dieser "Uberschuß" in fester Form ausgeschieden wird. 
Autorenadresse und Literaturhinweise finden Sie auf Seite 20 
 
Tropfsteinbildung aus iibersattigten 
Losungen 

Die Obersättigung kann verschiedene Ursachen haben. Temperaturänderungen zählen zu den häufigsten, weil die Löslichkeit von Substanzen in Wasser von dessen Temperatur abhängt. Meist lösen sie sich in heißem Wasser besser als in kaltem. Der auf dem Lösungsmittel (Wasser) lastende Druck beeinflußt die Löslichkeit ebenfaLls. Aber auch ganz einfach die Verdunstung von Wasser führt dazu, daß cine Übersättigung an gelösten Stoffen eintritt und sich diese dann als fester Niederschlag ausscheiden, bis das Lösungsgleichgewicht wieder hergestell t ist. 
Die am häufigsten vorkommenden Stalaktiten bestehen aus Calciumcar- 


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Mächtige Rhodochrosit-Stalaktiten bis zu 50 cm Durchinesser und maximal 5 m Länge (!) in einer Weitung des Capillitas-Ganges nahe Andalgala, Prov. Catamarca, NW-Argenlinien, Folo: J.A. Saadi.
 
bonat, von dem zwei Modifikationen (Calcit und Aragonit) bekannt sind. Calcit- Tropfsteine überwiegen bei weitem. Man findet sie in unzähligen Höhlen dort, wo Kalksteine dem lösenden Angriff van Kohlensäure-(Kohlendioxid-) haltigem Wasser ausgesetzt waren oder sind. 
In reinstem Wasser von Zimmertemperatur lösen sich nur 14 Milligramm (= 0,014 g) Calcit pro Liter. Enthält das Wasser jedoch größere Mengen Kohlendioxid, dann erhöht sich die Löslichkeit sprunghaft; z.B. löst sich in Wasser mit 0,2 g Kohlendioxid (- 100 ml) pro Liter mehr als die 15-fache Menge Ca1cit. Das ist durch das schwach saure Milieu und die Bildung von gut löslicbem Calcium-Hydrogenearbonat bedingt. 
Unter geeigneten Umständen und während langer Zeiträume ergeben sich dadurch Spalterweiterungen und Hohlräume im Gestein, die beträchtliche Ausmaße annehmen können. In Ihnen scheiden sieh Tropfsteine und Kalksinter ab, wenn Wasser verdunstet und/oder Kohlendioxid aus dem kalkhaltigen Wasser entweicht. Die chemischen Vorglänge bei der Ausscheidung entsprechen in umgekehrter Richtung denen der Auflösung. Dies wird deshalb etwas ausführlicher erläutert, weil Rhodochrosit. um den 
  es hier geht, ebenfalls ein Carbonat mit Eigenschaften ist, die denen des Calcits ähneln. 
Einzigartig: 
Tropfsteine aus Rhodochrosit! 
Nach HiLL & FORTI (1997) bestehen über 95 % aIler Hohlenbildungen aus Calciumcarbonat, und da man weltweit zahllose Höhlen mit Calcit- Trapfsteinen kennt, sind Stalaktiten dieser Art sehr gut untersucht. Aber auch andere Mineralien können Stalaktiten bilden; allerdings weder besonders große, noch in bemerkenswerter Menge. Eine Ausnahme ist ab Mitte der 1980er Jahre bekannt geworden. 
I m Nordwesten Argentiniens, in der Provinz Catamarca, weiß man seit einigen hundert Jahren von hydrothermalen Kupfer-. Blei- und Zinkerzen, die auch etwas Silber und Gold enthalten (ANGELELLI 1950). Das Vorkommen liegt ca. 35 km Luftllnie nördlich des Ortes Andalgala und ging unter dem Namen Capillitas in das Schriftum ein. Es wurde ab 1856 genauer erkundet. Bemerkenswert an ihm war das massenhafte Auftreten von Rhodochrosit (Manganspat, MnCO³). Dieses dort iiberwiegend 

 

 
massiv - kaum jedoch in schönen Kristallen - erscheinende Mineral kam erst nach 1945 auf die europäischen Märkte, als man in ihm einen idealen Rohstoff für künstlerische Arbeiten erkannte. In Argentinien wurden seit 1951 binnen 10 Jahren rund 700 Tonnen abgebaut; ab den sechziger Jahren jährlich (!) 100 bis 200 Tonnen. Seither findet man im Schmuckhandel jede Menge Schalen, Becher, Vasen, skulpturelle Kunstwerke, Ringe, Broschen und vor allem polierte Stücke, Kugeln, Eier und mehr oder weniger dünne Scheiben; alles zu relativ hohen Preisen. 
Anpolierte Stücke zeigen schöne Bänderungen in den Farben Weiß bis Himbeerrot in vielen Abstufungen. Häufig sieht man sagenannte "Augen" mit konzentrischen Ringen, wie man sie von Achat oder Malachit kennt. Es gab aber auch Scheiben mit nahezu kreisförmigem Umriß, die offensichtlich von Stalaktiten abgeschnitten waren. 
Mächtige Stalaktiten 
Kleinere Rhodochrosit-Zapfen fand man in fast allen Erzgängen. Aber 1986/87 wurde im Gang "Capillitas"


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ein größerer Hohlraum von etwa 3 x 9 m Grundfläche angefahren, in dem mächtige Stalaktiten mit bis zu 50 cm Durchmesser und über 5 Meter Länge hingen (SAADI 1988, 1991). Bis heute war dies weltweit die erste und einzige gigantische Tropfsteinhöhle mit Rhodochrosit-Stalaktiten. Leider wurde sie berehs 1987/88 durch restlosen Abbau und Vermarktung des Materials zerstört. Nur wenige Teilstücke gelangten in Sammlungen, und nur wenige Fotos (z.B. bei SAADI 1991) erinnern an die einzigartige Pracht. Dieses Vorkommen hatte es wahrlich verdient, als geologisch-mineralogisches Naturdenkmal bewahrt zu werden. Außer diesen riesigen Stalaktiten gab es auch kleinere mit Durchmessern von knapp 1 bis 10 cm und 5 bis 20 cm Länge. In den meisten Fällen waren mehrere bis viele der ursprünglich dünnen bis sehr    dünnen Stalaktiten zusammengewachsen und bildeten dann dickere Zapfen mit mehreren Zentren. 
Bänderung und Zonarbau des Rhodochrosits 
Als besonders ansprechend empfindet man die Bänderung des Rhodochrosits, die auf ein rhythmisches Wachsturn der Zapfen aus wechselnd zusammengesetzten Lösungen zuriickgeht. Die unterschiedlichen Farbabstufungen regten zu mikroskopischen und chemischen Untersuchungen an. So hat ANGELELLI (1973) mit der Mikrosonde insbesondere die Übergangszonen von rosarotem Rhodochrosit zu den häufig beobachteten bräunlichen Überwachsungen gepriift, die als lelzte, äußerste, mehr oder weniger dün- 

 

 
ne Schicht, daneben aber auch in dicken Krusten und Massen in den Gägen vorkommt. Dabei zeigte sich, daß im Grenzbereich rot/braun der Manganearbonat-Gehalt sprunghaft urn bis zu 30 % sank und dafür der Eisencarbonat-Anteil urn bis zu 20 %, sowie der Zinkcarbonat-Gehalt urn bis zu 10 % stieg. Hierüber berichtete auch BRODTKORB (1979); in jenerVeröffentlichung ist auch die grafische Darstellung der Mikrosonden Analyse von ANGELELLI (1973) abgebildet. ANGELELLI nannte die braune Substanz nach dem Fundort "Capillitit", doch wurde sie nicht als selbständiges neues Mineral anerkannt, weil sie lediglich eine Varietät von Rhodochrosit mit wechselnd erhöhten Gehalten an Zink und Eisen, aber dafiir niedrigeren Anteilen von Mangan darstellt. Über den sogenannten "Capillitit" informierte bereits GALLONI (1950). 


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BRODTKORB (1979) berichtete über die Beschaffenheit der Rhodochrosit-Stalaktiten und beobachtete in einem Zapfen von 2 cm Durchmesser eine Kanlüle van 0,06 Millimeter Durchmesser. Auch SAADJ (1991) beschrieb eine feinfaserige Textur der Stalaktiten und stellte fest, daß die Breite der Bänder der Größe der Rhodochrosit- kriställchen entspricht. Außerdem schloß er aus den Querschnitten der Zapfen, daß sie als "Makkaroni" Ursprünglich in Luft entstanden sein mußten und erst später durch Substanzanlagerung von außen dicker wurden und zusammenwuchsen. In der großen Höhle des "Capillitas"-Ganges habe es auch klein ere Exzentriques (engl.: helictites) von durchschnittlieh 1 cm Durchmesser und 2 bis 20 cm Länge gegeben, die teils parallel, teils in unterschiedliche Richtungen gewachsen seien. 
Strohhalme und "Makkaroni" 
Nach Meinung vieler Autoren beginnen die meisten Stalaktiten ihr 
  Wachstum a1s Strohhalme (im engl. Schrifttum: soda straws). Diese stellen "eine monokristalline Varietät von Stalaktiten" dar (HILL & FORTI 1997, S. 105+233). Ihr Durchmesser, der von der Größe eines Wassertropfens vorgegeben zu sein scheint, entspricht etwa dem einer Makkaroni (äußerer Durchmesser 5-7 mm; Wandstärke 1,5 mm; Hohlraum 2 mm) mit nur geringen Abweichungen (deshalb besonders im deutschen Schrifttum auch als "Makkaroni" bezeichnet). In vielen Tropfsteinhöhlen. kann man Calcit-Makkaroni in großen Mengen sehen. PRINZ (1908) hat wohl erstmals auf Calcit-Stalaktiten als Einkristalle hingewiesen, und KRAMER (1959) erinnerte mit neueren Bildern daran. Ob aber wirklich alle Calcit-Makkaroni echte Einkristalle sind, darf naeh eigenen Beobachtungen angezweifelt werden. Die Einkristall-Beschaffenheit gilt nur für die Makkaroni. Die sich beim weiteren Wachstum anschließende Stoffanlagerung geschieht in anderen kristallografischen Orientierungen (HILL & FORTI 1997, S. 232). 
In den argentinischen Erzgängen fand 

 

 
man selten einzeln hängende Makkaroni; vielmehr waren dünne Zapfen in mehr oder weniger großer Zahl zu dickeren verwachsen. Je nach der Anzahl der miteinauder verbundenen "Jung¬Stalaktiten" ergeben sich sehr unterschiedliehe Schnittfiguren, die zudem durch den häufigen Wechsel der Farben von rosarot bis weiß sehr attraktiv aussehen. 
Nach bisherigen Beobachtungen scheint es eher unwahrscheinlich, daß die ursprünglichen Rhodochrosit Zäpfchen einen verg1eichbaren Querschnitt wie Calcit-Makkaroni besaßen. Die dünnsten gefundenen Stalaktiten haben zwar 3-5 mm im Querschnitt; im Mittel messen sie sogar 10 mm. Aber das entsprieht nicht den hier so genannten "Ur-Stalaktiten"; denn auf sie wuchs eine beträchtliche Substanzmenge nachträglich auf. Wie dünn sie anfänglich wirklich waren, läßt sich höchstens grob abschätzen. Die Kanülen, die bei fast allen Zapfen und ihren Schnitten sichtbar sind, besitzen einen lichten Durchmesser von etwa 1/3 mm; es gibt auch engere und weitere Röhren; das hängt von der Menge der - wahl später entstande- 



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nen - kristalinen Bildungen im Innem ab. Der Hohlkanal ist von einem dünnen, meist weißen Mantel umschlossen, dessen Durchmesser im Mittel rund 1 mm betragt ( > Fotos auf    Seite 20). Dies war vermutlich der hier so bezeichnete "Ur-Stalaktit". Manche dieser ersten Gebilde wuchsen in unterschiedliche Richtungen entgegen der Schwerkraft; es bildeten 

 

 
sich Exzentriques. Es darf angenommen werden, daß diese ursprünglichen dünnen Stalaktiten aus tropfenden Wassern an den Deckenhöhlen hängend gewachsen sind. 



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Literatur
 
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GALLON!, E. (1950): "C apillitite" .- Amer. Mi¬neral. 27. S. 562-570. 
GMELIN (1981): Handbuch d. Anorg. Chemie, 8. Aufl., Bd. C 7, Syst.-Nr. 56, S. 215. 

  HtLL, C. & FORTI, P. (1997): Cave minerals of the world (2. Aufl.).- Natl. Speleological Soc. (Hrsg.), Huntsville, AL IUSA, 463 S. 
KRAMER, H. (1959): Kalkspat-Einkristallroh¬reo.- Der Aufschlu3 101H. 5, S. 108-109. 
MANSFELD, F. (1943): En busca de]a Rosa de] Inca.- Buenos Aires. 
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Dr. Werner Lieber, Baden¬Badener-Str, 3, D-69126 Heidelberg 




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